Oops. Da habe ich neulich doch jemanden übersehen, als ich desillusioniert die honeckereske Einstimmen-Politik des DOSB und den überflüssigen Sportausschuss des Bundestages kritisierte. Es hatte sich sogar in der DOSB-Presse der vergangenen Woche der Hinweis verborgen, dass sich der Deutsche Tischtennis-Bund (DTTB) ausführlich zu Wort melden wolle. Das ist heute geschehen. DTTB-Präsident Thomas Weikert und Altpräsident Hans Wilhelm Gäb, der gelegentlich hier mitliest, haben auf der DTTB-Webseite ihre Standpunkte veröffentlicht.
Es gibt viele interessante Ansätze in dem Schreiben. Zum Beispiel wird erstmals (ich sag das mal frech, kann mich ad hoc an nichts anderes erinnern) die Fixierung auf Sportarten, die ich Zirkussportarten nenne (ohne Breitensportwirkung) wie Bob/Rodel/Eisschnelllauf kritisiert.
Wenn Sportarten, die in unserem Lande nur von wenigen betrieben werden und naturgemäß kaum Auswirkungen auf den Breitensport haben, zehnfach, hundert- oder gar tausendfach mehr Förderung pro Vereinsmitglied erhalten als eine Sportart, deren Volumen an Sportlern und Vereinen aber zehnfach oder hundertfach größer ist und die zudem in einem viel intensiveren globalen Wettbewerb steht, dann kann von einem transparenten und gesellschaftspolitisch begründbaren Förderungssystem kaum gesprochen werden.
Die derzeit fast ausschließlich auf olympische Medaillengewinne fokussierte Geldverteilung stellt nicht nur die Legitimierung der Sportförderung aus Steuergeldern in Frage, sondern verleugnet auch die in Wahrheit ja vorhandene ständige und sozial so wichtige gegenseitige Befruchtung von Spitzensport und Breitensport. Beide aber sind von größter Bedeutung – der eine für die Reputation Deutschlands in der Welt und für die Mobilisierung der Jugend für den Sport, der andere für das millionenfache friedliche Zusammenleben im Land nach den Regeln des Sports.
Dazu diese vom DTTB erstellte Statistik:
Als „Problembereiche“ nennen sie eingangs:
- Die Konzentration der Fördergelder auf Medaillengewinne bei Olympischen Spielen folgt einem Denkmuster, in dem der Medaillengewinn alles ist, die Bedeutung des Breitensports als essenzielle Basis der Elite und als soziales Kapital für das Land jedoch krass vernachlässigt wird.
- Die Investition von Steuergeldern in den Hochleistungssport sollte den gesellschaftspolitischen Zielen der Bundesrepublik dienen. Sie sollte vor allem durch den Umstand politisch legitimiert werden, dass der Leistungssport der Wenigen den für die innere Stabilität des Landes entscheidend wichtigen Breitensport der Millionen beflügelt. Die derzeit grotesk überhöhte Förderung von Sportarten, hinter denen keine Breitensportbewegung steht und deren gesellschaftspolitischer Nutzen deswegen naturgemäß begrenzt ist, sollte auf ein vernünftiges Maß zurückgeführt werden.
- Ganz unabhängig von diesen „innenpolitischen“ Überlegungen glauben wir, dass die Rolle deutscher Topathleten als Lokomotiven für den Breitensport sowie die heutige Bedeutung internationaler Sporterfolge für die Außendarstellung unseres Landes sich in der jetzigen Förderung nur unzureichend widerspiegeln.
Im eigentlichen Schreiben (s. u.) führen Weikert/Gäb diese Argumente auf:
- Der Widerspruch zwischen Anspruch an und Leistungen für den Sport
- Die Bedeutung des Hochleistungssports wird der Öffentlichkeit nicht ausreichend erklärt und dokumentiert
- Der Sport ist für eine Nation existenziell wichtig
- Der Hochleistungsport mobilisiert den Vereinssport
- Die Unterstützung des Hochleistungssports aus Steuergeldern muss besser begründet werden
Es fehlt an einem logischen und gesellschaftspolitisch nützlichen Förderkonzept
So heißt es:
Dass bei einer Neuordnung der Fördersysteme die Honorierung von Topleistung in einer spezifischen Sportart in eine vernünftige Relation zur Förderung derjenigen Verbände gebracht werden muss, die über die Topleistung hinaus einen tief in die Bevölkerung hineinreichenden Breiten- und Volkssport betreiben, muss sich jedem erschließen, für den die deutsche Sportbewegung noch wichtigere Ziele hat als Medaillengewinne. Wir bitten darum, dass der deutsche Sport und seine für ihn Verantwortlichen ein Fördersystem entwickeln, das nach nachvollziehbaren Kriterien aufgebaut ist und den größtmöglichen gesellschaftspolitischen Nutzen für unser Land anstrebt.
Neuordnung der Fördersysteme?
Habe ich da etwas falsch verstanden? Hatte der DOSB nicht mit Einerstimme (wie der chinesische Volkskongress) gerade erklärt, es sei alles gut so wie es ist, unter Michael Vesper (Bündnis 90/Die Grünen) und Thomas Bach (FDP) geradezu fantastisch? Oder habe ich da etwas missverstanden?
Nach erster Durchsicht glaube ich, dieser Diskussionsbeitrag hat eine neue Qualität.
Mit freundlicher Genehmigung erlaube ich mir, die Texte und Dokumente zu übernehmen und zur Diskussion zu stellen.
Hier das „Schreiben an führende Sportpolitiker“ (Empfängerliste wird nachgetragen, s. u.) als pdf:
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Nachtrag: Das Material wurde eben vom Sekretariat des Sportausschusses an die Abgeordneten verteilt, die morgen (am Mittwoch) wieder hinter verschlossenen Türen tagen.
Die Empfängerliste des Schreibens:
- Bundesministerium des Innern: Bundesinnenminister Herr Dr. Hans-Peter Friedrich, Ministerialdirektor Herr Gerhard Böhm
- Bundesministerium der Finanzen: Bundesfinanzminister Herr Dr. Wolfgang Schäuble
- Bundesministerium der Verteidigung: Bundesminister der Verteidigung Herr Dr. Thomas de Maizière
- Sportausschuss des Bundestages: Vorsitzende Frau Dagmar Freitag
- Deutscher Olympischer Sportbund e.V.: Präsident Herr Dr. Thomas Bach, Vizepräsidentin Leistungssport Frau Dr. Christa Thiel, Generaldirektor Herr Dr. Michael Vesper, Sportdirektor Herr Bernhard Schwank, Vertreter der Spitzenverbände: Vorsitzender Herr Rainer Brechtken (Präsident des Deutschen Turner-Bundes e.V.)
Außerdem ein Nachtrag, habe ich gestern allerdings bereits auf Twitter vermeldet und empfohlen:
- Daniel Drepper im WAZ-Rechercheblog: Olympia: Friedrichs Beschwerde abgewiesen – Beschluss unanfechtbar
Und weitere Nachträge, um den Blick zu weiten:
DTTB-Präsident Thomas Weikert hat das Fördersystem/die Zielvereinbarungen offenbar nicht immer so kritisch gesehen, wenn ich meinen Notizen vom Sportausschuss trauen kann (lesenswert auch aus vielen anderen Gründen, so dreieinhalb Jahre danach :)
Die Zielvereinbarung Potenzialförderrealismusproblemlösungsvereinbarung des DTTB für London 2012 hatte ich im August veröffentlicht:
[There is a Scribd-document embedded here.]
Und noch ein Nachtrag, das wird in den Kommentaren bereits diskutiert: Ja, die Mitgliederzahlen, die der DTTB nennt, stimmen. Jedenfalls die der Eisschnellläufer.
- Quelle: DOSB-Bestandserhebung 2011 vom 28. Februar 2012(pdf)
Als kleiner Überblick der olympischen Sportarten:
Wobei: Nicht auszudenken, Schützen und Fußballer würden analog ihrer Mitgliederzahl gefördert. Schützen, mein altes Lied, sollten eigentlich aus dem Olympia-Programm verschwinden. Doch egal: Weikert und Gäb sagen ja nicht: Fördert nach Mitgliederzahlen.
Sie sagen vielmehr:
Was die Verteilung und Streuung der jetzt vorhandenen Fördergelder angeht, sehen wir derzeit nur bedingt ein verständliches, gerechtes und dem gesellschaftspolitischen Nutzen des gesamten Sports dienendes Konzept.
Seine Finanzierung muss der Hochleistungssport wesentlich dadurch legitimieren, dass er die Aktivitäten in den Vereinen beflügelt, dass dort Millionen von Jugendlichen den Respekt vor Regeln lernen und im Zusammenleben mit anderen Kulturen und Weltanschauungen Toleranz und Achtung vor dem anderen.
- a. Deshalb sollte bei der Förderung künftig auch bewertet werden, welches Volumen an Breitensport, Sportvereinen und Mitgliedern hinter der Elite der einzelnen Sportarten steht. Ebenso ist es in unseren Augen ein Gebot der Logik und Fairness, ein Bewertungssystem zu schaffen, das bei der Verteilung von Fördergeldern auch die internationale und globale Bedeutung sowie die Verbreitung der jeweiligen Sportarten bewertet.
- b. Es ist aber vor allem ein Gebot der gesellschaftspolitischen Opportunität, ein Bewertungssystem zu schaffen, das die Quantität an Breiten- und Vereinssport hinter der jeweiligen Elite einer Sportart berücksichtigt.5 Es sollte auch über einen Faktor nachgedacht werden, der – grob berechnet – die Zahl der Wettbewerber in einer spezifischen Sportart berücksichtigt. Denn kann es fair sein, beispielsweise eine Goldmedaille im Volleyball oder Tischtennis, globalen Sportarten mit Millionen von Wettbewerbern, nicht höher zu bewerten als einen Sieg in einer Sportart, in der nur wenige Länder und nur ein paar tausend Sportler zum Wettkampf antreten?
- c. Es ist richtig, die Ergebnisse bei Olympischen Spielen hoch zu bewerten. Sie aber zum absolut wichtigsten Kriterium der Förderungshöhen zu machen, ist aus vielerlei Gründen fragwürdig. Beispielsweise finden Olympische Spiele nur alle vier Jahre statt, und in vielen Sportarten sind die Weltmeisterschaften häufiger und zudem noch besser besetzt als die Olympischen Spiele. Daher spiegelt sich auch in den dortigen Ergebnissen relevant und zudem kontinuierlicher die Leistungsfähigkeit und Stärke der Athleten in einer Sportart. Es ist also dringend geboten, bei den Förderungskriterien auch die Resultate von globalen Wettkämpfen individueller Sportarten außerhalb der Olympischen Spiele zu berücksichtigen.
- d. Notwendig wäre es zudem, in einem überarbeiteten Fördersystem auch ein verständliches Kriterium einzufügen, das die Zahl der Wettbewerbe bzw. die Zahl der Medaillenchancen in den einzelnen Sportarten verständlich gewichtet. Bei Olympischen Spielen kann der Deutsche Handball-Bund maximal zwei Medaillen gewinnen. Die Schwimmer des Deutschen Schwimm-Verbandes könnten demgegenüber theoretisch mit mehr als 60 Medaillen zurückkommen.
- e. Im Zusammenhang mit dem jetzigen Fördersystem und seinen an Medaillen orientierten Zuwendungen muss ebenso verständlicher bewertet werden, was die Zahl der Medaillenchancen bedeutet, die wiederum durch die Zahl der Wettbewerbe in der jeweiligen Sportart bestimmt ist. Es sei hier nur angemerkt, dass beispielsweise ein Hockey-, Basketball- oder Tischtennisspieler bei Olympischen Spielen allenfalls eine oder zwei Medaillen gewinnen kann. Demgegenüber gibt es Sportarten, in denen ein einzelner Athlet bis zu sieben oder acht Medaillen gewinnen kann.
Bilanzierend lässt sich sagen, dass eine bloße Fortführung der jetzigen Praxis der Leistungssportförderung aus Steuermitteln auch weiter nur ein Belohnungssystem bedeutete für gewonnene Olympia-Medaillen. Die gegenseitige Abhängigkeit von Spitzensport und Breitensport bliebe negiert, die Bedeutung des Breitensports als ein entscheidend wichtiger Faktor der Gesellschaftspolitik würde verleugnet. Ein extrem wichtiges Argument für den Transfer von Steuergeldern in den Hochleistungssport würde vom Sport selbst ad absurdum geführt. Die Versuchung, medaillenträchtige Minoritäten-Sportarten – wie es in der DDR der Fall war – überproportional zu Lasten der Verbände mit starker Breitensport-Struktur zu fördern, bliebe bestehen.